- Land: Spanien
- Region: Toro
- Hersteller: Alvar de Dios
- Typ: Rotwein
- Geschmacksrichtung: trocken
- Rebsorte: Cuvee (Rebsortenmischung)
Heute berührt der Captain ein heikles Thema, aber zunächst etwas anderes, denn es gibt → Bio-Wein aus der MAGNUM-Flasche. Dieses 1,5-Liter-Format steht bei Wein-Laien im Verruf was für Angeber zu sein, aber das stimmt nur teilweise. Natürlich gibt es auf Instagram zehntausende Fotos mit Menschen, die freudestrahlend eine Großflasche in den Händen halten, mit dem Gestus: Schau mal, was ich mir leisten kann! Doch da ist noch eine andere Wahrheit, die du kennen solltest: Wein aus Großflaschen (und ich meine solchen, den man nicht sofort nach der Abfüllung, sondern nach Ablauf einer gewissen Reifezeit in der Flasche trinkt) schmeckt tatsächlich ein bisschen besser als einer aus der 0,75-Liter-Flasche.
Der Unterschied ist nicht sehr groß, aber sensorisch spürbar. Es liegt schlicht an der Menge und dem Tanz der Moleküle im flüssigen Medium, die dazu beitragen, dass dieser Wein runder und harmonischer reift. Etwa vergleichbar mit der Truppe des Bolschoi-Balletts, die viel Raum braucht, um ihre Kunst angemessen wirken zu lassen. Parmesan, der in großen Rädern reift, zeigt denselben Effekt.
So viel dazu. Jetzt aber zu einem anderen Phänomen, das weniger mit Physik, dafür umso mehr mit Gefühlen zu tun hat. Gestern schrieb der Captain in seinem → Newsletter über den biodynamischen Weinbau im Zusammenhang mit der Möglichkeit, dem Klimawandel zu begegnen und trotz steigender Wärme im Wingert zartfühlige Weine mit wenig Alkohol zu erzielen. Allein das Wort Biodynamie scheint bei manchen Weinmenschen den Puls nach oben zu treiben. Und so bekam der Captain einige Mails. Ein paar doofe und ein paar kluge und alle zeigen, wie sehr das Thema echauffiert, um im Wärmebild zu bleiben.
Eine der (klugen) Mails kam von Winzer Armin Kobler, der früher an der Forschungsanstalt Laimburg (5 Kilometer südlich von Bozen/ Südtirol) önologische Studien betrieb und heute in seinem Weinhof Kobler in Margreid Wein macht. Kobler störte meine Aussage in meinem → Newsletter, dass Trauben aus heißen Lagen, die biodynamisch bewirtschaftet werden, am Ende differenziertere Weine mit weniger Alkohol ergeben können, und begehrte die Quelle für dieses Statement zu erfahren. Nun, ich schickte ihn auf die Facebook-Seite des Deutschen Weininstituts (DWI), wo seit Kurzem → sehr lehrreiche Zoom-Gespräche unter Weinfachleuten stattfinden, die ich interessierten Laien wie mir sehr empfehle.
Dass ich ein dort besprochenes Thema (Umgang mit steigenden Temperaturen im Weinberg) verkürzend auf den Punkt brachte, liegt in der Natur der Medienproduktion, denn sonst müsste ich meinem Artikeln jedes Mal 30 Fußnoten und Querverweise hinzufügen, was den Lesegenuss deutlich einschränken würde. Kobler schrieb (und jetzt wird’s seeehr fachlich, sorry): „Als ehemaliger Weinforscher und jetziger Winzer mit Kollegen und Nachbarn aus der Bio- und Biodyn-Szene hört man halt besser hin, wenn man solche Feststellungen liest. Vorausgesetzt, dass sich der biodynamische Weinbau vom biologischen im Kern nur durch die zusätzliche Verwendung dynamisierter Präparate unterscheidet (welche meines Wissens immer noch auf eine wissenschaftliche Bestätigung ihrer Wirksamkeit warten), entscheidet jeder Winzer selbst, welche Techniken im Weinbau angewandt werden.
Unabhängig, ob integriert oder biologisch oder sonst wie wirtschaftend. Neben den Forschungsanstalten testen viele Winzer, wie das Thema Alkoholbegrenzung mit Erfolg angegangen werden kann. In den Praxisbetrieben wird viel herumprobiert und auch der Winzer aus Baden ist ehrlich genug und gibt zu, dass er nicht genau weiß, was hilft und was nicht. Das von ihm übrigens praktizierte Nichtentblättern verhindert marmeladige Noten und bremst die Veratmung der Säure, vermindert aber nicht die Zuckerakkumulation und demzufolge den Alkoholgehalt an sich, da ersterer immer noch ausschließlich in den Blättern erfolgt. Beim heutigen Wissenstand muss die Alkoholbegrenzung immer noch zu 90% durch frühere Lese erfolgen.
Wobei eine vorgezogene Lese, zumindest bei uns in Südtirol, die Sortentypizität und die Haltbarkeit der Weine stark begrenzt. Deshalb bleibt nichts anderes übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen. Viele biodynamische Betriebe in nicht ganz südlichen Regionen mussten und müssen früher lesen, aus dem einfachen Grund, dass ihnen die Trauben ansonsten wegfaulen. Wenn man dann marketingmäßig gut unterwegs ist – und das sind diese Betriebe überdurchschnittlich – kann man recht gut die Abkürzung biodynamisch = weniger Alkoholgehalt ganz toll verkaufen. Und es passt halt auch als zusätzliches Argument für ein sehr oft vereinfachtes Weltbild“. Mit dem „Winzer aus Baden“ ist übrigens Alexander Götze vom Natur-Weingut Wasenhaus gemeint, ein unter Weinfans gefeierter Aufsteiger-Betrieb.
Ja, klar kann man Weinbau wie ein Drohnenpilot (= der Captain) betrachten oder mit der Lupe zwischen den Rebstöcken umherkriechen (= der Weinforscher), denkt der Captain im Kopf und fühlt sich ein bisschen wie TV-Philosoph Richard David Precht mit dem schönen Haar und großer Reichweite in Deutschland, dem der Captain nicht so gerne zuhört wie Slavoj Žižek (nicht so berühmt in Deutschland), der aus der Isolation in Ljubljana aufregende Interviews gibt und Dinge sagt, wie: „Komisch, dass die Zahlen viel schlimmer sind als im Frühling und die Menschen die Situation trotzdem nicht ernst nehmen. Sie gehen shoppen. Die Straßen sind voll. Es ist eine Art Verleugnungsstrategie. Ich vermisse eine gesunde Panik. Ich denke, die Menschen sind verzweifelt.
Sie registrieren, dass eine Epoche zu Ende geht. Die dritte Welle wird eine Welle psychischer Krankheiten sein. Das wird dramatisch zunehmen. Das kann man jetzt schon anhand des psychischen Zustands von Kindern und Jugendlichen beobachten. Die sind sozial isoliert und deprimiert. Niemand gibt ihnen eine klare Perspektive. Klar, der Impfstoff kommt. Aber wie schon der Soziologe Bruno Latour gesagt hat: Diese Pandemie ist nur eine kleine Probe für die wirkliche Krise, die später noch kommt: andere Viren, globale Katastrophen und vor allem – die Erderwärmung.“
DAS ist intellektueller Rock ’n‘ Roll, denkt der Captain und versteht Kobler, macht aber trotzdem anders weiter, denn in den Medien gilt nur: Bleib unterhaltsam und verständlich, denn Reichweite ist alles. Leute, die das Gegenteil behaupten, kaschieren nur ihr Unvermögen, ein breites Publikum anzusteuern.
Und was hat das alles mit meinem herrlich-kargen, saftig-eleganten und gar nicht teuren Bio-Wein Tio Uco von Alvar de Dios (was für ein Name!) in der MAGNUM-Flasche zu tun? Der junge Alvar (Bild oben) hat sich dem behutsamen Weinbau verschrieben. Er verarbeitet in seinem Tio Uco (Onkel Uco) Trauben aus drei verschiedenen Parzellen von 25 bis 100 Jahre alten Stöcken. Der Wein besteht hauptsächlich aus Tinta de Toro (eine regionale Spielart der Rebsorte Tempranillo) mit etwas Garnacha und wird zusammen mit den Rappen (Traubengerüst) spontan vergoren.
Weinletter
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Das mit den Rappen ist auch wieder so ein interessantes Detail, in das man sich önologisch vertiefen könnte. Sie steuern grüne Gerbstoffe bei und wirken beim Abpressen als natürliche Stoßdämpfer. Ist auch wieder ganz oberflächlich beschrieben und wird dem Captain garantiert um die Ohren geschlagen, glaube ich und gehe mein Haupthaar kämmen. Und so schmeckt mein Tio Uco von Alvar de Dios aus der MAGNUM-Flasche, dieser urtümlich hergestellte Bio-Rotwein aus der Region Toro nahe bei Portugal, die in der Regel deftige und konzentrierte Weine hervorbringt. Dieser ist auf angenehme Weise anders:
Im Glas sattes und leicht transparentes Rubinrot. In der Nase feinwürzig nach Brombeere, Bleistift, aufgebrochenem After Eight. Im Mund sehr saftig, kräutrig, mild – trotz des nicht geringen Alkoholgehalts: 14% Vol. Ich schmecke Schwarze Johannisbeere, Granatapfelsaft, Rote-Beete-Saft und Orangenschale. Kein bisschen Süße mischt sich in die karge Schönheit dieses spontanvergorenen Weins, dessen Trauben in großer Höhe wachsen, nur kühle Mineralik und glasklare Frucht.